23.02.2021
STEFAN MICKISCH VERSTORBEN
Er galt als König der Gesprächskonzerte und genoss Kultstatus nicht nur unter Wagner- und Romantikfans, von Zürich bis Wien und natürlich in Bayreuth. Auch in Gießen hatte er unter unserem Theaterpublikum treue Fans, die ihn teilweise über die gesamten 14 Jahre seiner Auftritte hier am Haus begleiteten.
Zum ersten Mal konnten wir Stefan Mickisch 2007 im Rahmen unseres 100-jährigen Stadttheater-Jubiläums erleben. Schon damals war er für seine unverwechselbare Art des „lebenden Opernführers“ während der Bayreuther Festspiele bekannt – und damit für uns der ideale Partner für unser ehrgeiziges Mammutprojekt WAGNERS RING – leicht gekürzt. Nach Gießen ließ er sich nicht etwa durch ein besonderes Honorar locken. Seine erste Frage galt dem Instrument, auf dem erspielten sollte. Wie gut, dass wir schon damals mit einem gepflegten Steinway-Konzertflügel punkten konnten. Unter der musikalischen Leitung des damaligen GMDs Carlos Spierer musizierten dann in dieser konzertanten Aufführung ein hochkarätiges Solisten-Ensemble und das Philharmonische Orchester Gießen. Stefan Mickisch führte vom Flügel aus durch sechs Stunden Wagner pur: als Erzähler, als Erklärer, als Pianist – stets im Dialog mit dem Publikum und in musikalischer Gemeinschaft mit allen Beteiligten. Die so entstandenen, inzwischen legendären RING-Aufführungen, die das Publikum mit Standing Ovations „krönte“ und in einhelligen Jubel ausbrach, „zauberten ein Hauch von Bayreuth ins Stadttheater“.
In den Jahren danach folgten Gesprächskonzerte zu HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN, DER FLIEGENDE HOLLÄNDER, TRISTAN UND ISOLDE und ARIADNE AUF NAXOS, zudem ein Richard Strauss-Abend sowie zuletzt sein Programm, in dem er TONARTEN UND STERNZEICHEN zum Gegenstand eines unterhaltsamen Programms über Himmelskörper und die damit korrelierenden Klänge machte.
Wer ihn erlebte war gleichermaßen beeindruckt von dem begnadeten Spiel des Klaviervirtuosen wie von der Art seiner Darbietung: Mickisch beherrschte die von ihm präsentierten Werke des Musiktheaters und der Konzertliteratur bis in deren thematische Grundwurzeln – und das Meiste hatte er auswendig im Kopf, was es ihm erlaubte, frei zu sprechen und nach Bedarf Leitmotive oder verborgene Zusammenhänge aus den Tasten zu zaubern. In saloppem Plauderton vermittelte Mickisch – stets auf hohem intellektuellen Niveau – die Hintergründe zu den komplexesten Werken anschaulich und machte diese auch für normale Musikinteressierte nachvollziehbar.
Und auch wenn Entwicklungen der letzten Jahre ihn partiell manchmal verzweifeln ließen und er seinen sehr eignen, sehr streitbaren Gedankengängen zu kulturpolitischen Themen, Umweltfragen oder in letzter Zeit insbesondere auch zum Umgang mit Corona freien Lauf ließ – und sich dabei teilweise verhoben hat –, worüber wir naturgemäß auch sehr angeregt streiten konnten, so bleibt Stefan Mickisch einer der ganz wichtigen Wegbegleiter unserer musikalischen Arbeit der letzten Jahre. Wir werden ihn sehr vermissen. Nie wieder werden ZuhörerInnen im Theaterpark unter dem Fenster stehen bleiben und lauschen können, wenn er sich im Repetitionszimmer im 2. Stock einspielt. Es geht ein wirklicher Freund des Stadttheaters, der niemals einen Unterschied zwischen großen Opernfestspielen und seinem Gießener Publikum machte.